Kürzlich wurde ich von Nicoals Bodenschatz vom Munich Legal Tech Student Association e.V. interviewt.
MLTech ist eine Gruppe Studierender der Uni München mit besonderem Interesse – und Engagement! – in Sachen Legal Tech. Ich finde es klasse, dass nachrückende Jurist:innen keinerlei Scheu vor diesem hochaktuellen und dynamischen Thema haben, sondern es schon während des Studiums mitgestalten und vorantreiben wollen!
Im Interview geht es weniger um spezifische Legal Tech-Themen als um Zuschnitt und Arbeit meiner Kanzlei – aber das ist ja nicht weniger spannend:
Dr. Daniel Michel betreibt seit 2018 eine Ein-Mann-Kanzlei für Datenrecht, IT, IP und allgemeines Wirtschaftsrecht in Rottach-Egern am Tegernsee. Herr Dr. Michel, wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Standortwahl?
Das war teils Zufall, teils Courage. Ich bin zum Jahreswechsel 2017/2018 aus der Großkanzlei ausgestiegen, in der ich zuvor acht Jahre, teils in Leitungsfunktion, tätig war. Zu dem Zeitpunkt – also schon vor der Corona-Pandemie – war meine Erfahrung, dass Erreichbarkeit für die Mandanten in der Zusammenarbeit mehr zählt als ein prestigeträchtiger Kanzleisitz. Ich hatte den Kanzleizuschnitt ohne Personal geplant. Die Mandanten haben schon damals zunehmend den Anwalt direkt kontaktiert. Aktenanlage, Leistungserfassung oder Rechnungserstellung funktioniert prima mit entsprechender Kanzleisoftware – „Software is eating the world“ stimmt.
Ich war also relativ frei in der Entscheidung, weil ich auf niemanden groß Rücksicht nehmen musste. Gleichwohl war zunächst mein Plan, wieder in München ein Büro zu suchen. Privat leben wir südlich von München am Rande der Berge und so bin ich eher zufällig in meine jetzigen Kanzleiräume gestolpert. Nicht mehr in die Stadt pendeln zu müssen und obendrein in dieser schönen Landschaft arbeiten zu können, war dann einfach zu verlockend. Außerdem ist der Tegernsee ja weithin bekannt, auch über München hinaus, also keine schlechte Adresse. Für die ausländischen Mandanten gehört das noch zur „Munich Area“. Diese freie Standortwahl gehört zu den vielen Vorteilen, wenn man sich selbständig macht. Und: die Attraktivität des Sees und der Berge hier hat dazu geführt, dass viele Mandanten sehr gerne mal raus an den See zu einem „Geschäftstermin“ gekommen sind.
Durch die Pandemie hat sich dann der Kontakt mit der Mandantschaft wie überall fast vollständig auf Videokonferenzen reduziert, mobiles Arbeiten und „Workations“ sind völlig akzeptiert. Dies gilt besonders im Kreise meiner Mandanten, zu denen viele Startups und damit junge, flexible Menschen zählen, die ihr Leben anders strukturieren als man das von Konzernen der „old economy“ oder eben von klassischen, konservativen Großkanzleien kennt.
Zuvor waren Sie assoziierter Partner in einer Großkanzlei. Was können Sie als einzelner Anwalt besser als große Einheiten? Wo stoßen Sie an Ihre Grenzen?
Meine Erfahrung zeigte mir damals schon, dass die Mandantschaft den direkten persönlichen Kontakt zu „ihrem“ Anwalt wünscht. Man möchte – überspitzt formuliert – dort nicht zu Beginn vom Partner „abgeholt“ und später nur noch vom Associate betreut oder durch die Standorte einer überörtlichen Kanzlei weitergereicht werden. Entsprechend sorgen sich Mandanten um Reibungsverluste und dass man Lernkurven der Juniors bezahlt. Man mag schon überhaupt kein overbilling durch zu viele Leute an einem Thema.
Was dagegen gewünscht wird ist ein (!) Ansprechpartner, den man über die Zeit kennen lernt und der immer selbst im Thema drin ist. Wenn alles aus einer Hand kommt, hilft das schneller, flexibler und in höherer Qualität zu arbeiten. Das biete ich und die letzten fünf Jahre zeigen mir, dass das sehr gut ankommt.
Fachlich mache ich mir keine Sorgen, dass ich mit den Großen nicht mithalten könnte, aber mir ist klar, dass es viele sehr fitte Anwälte und Anwältinnen da draußen gibt, deren Konkurrenz ich mich jeden Tag stellen muss. Ich würde also nicht sagen, dass ich irgendwas „besser“ kann oder mache, das ist vielleicht nicht der richtige Maßstab. Ich habe mir intensiv Gedanken gemacht, was ich wie anbieten will in meiner Kanzlei und bin dabei – ganz kundenorientiert – von meinen Erfahrungen und meiner Mandantenstruktur ausgegangen. Das hört sich vielleicht platt an, aber meine Maßgabe ist ganz klar die Orientierung nach den Bedürfnissen der Mandanten und deren Zufriedenheit. Die scheint gegeben zu sein, da fast alle Mandanten damals mit mir mitgegangen sind und eigentlich alle Neumandate zu langfristiger Zusammenarbeit führen. Ich bin Dienstleister, mache manches nicht „besser“, aber in Teilen anders und habe offenbar eine Mischung aus Auftreten, Expertise, Fachgebieten und Ort gefunden, die für die Mandantschaft und mich sehr gut funktioniert.
Was nicht zu diesem Paket gehört, ist naturgemäß die Abdeckung diverser Rechtsgebiete unter einem Dach. Ich werde nie Kenntnisse in mir fremden Rechtsgebieten behaupten und nicht vorhandenes Fachwissen vortäuschen, nur um ein Mandat abzugreifen. Gleichwohl gibt es bei der Bearbeitung mancher Mandate immer wieder Bedarf an Beratung zu Spezialgebieten, sei es Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht, oder Außenhandelsrecht etc. Da kann ich nicht einfach über den Flur zum Kollegen gehen und nachfragen. Will ich meine Mandanten dann nicht schulterzuckend wegschicken, kommt es darauf an, dass ich aus meinem Netzwerk die richtigen Leute dazu hole oder vermittle. Hier habe ich das Glück, ein paar exzellente Kolleginnen und Kollegen zu kennen, nicht zuletzt noch aus der gemeinsamen Tätigkeit in der Großkanzlei, in der ich zuvor war. Ich kann nur sagen: es macht absolut Sinn, einen solchen Verbund nicht im Streit zu verlassen, sondern in Freundschaft. Dadurch kann ich als Ein-Mann-Kanzlei im Grunde immer noch Leistungen einer sog. „Full-Service-Kanzlei“ anbieten, auch wenn dabei nicht ich, sondern andere mit Arbeit versorgt werden. Aber klar ist auch: Ich bekomme andere Mandate als die Großkanzleien, nämlich solche, bei denen aus Sicht des Mandanten – durchaus auch weltweit agierende große Konzerne – eben ein einzelner Anwalt mit der entsprechenden Expertise ausreicht und man keine größere Manpower benötigt, wie etwa in großen M&A-Projekten. Das kann dann aber auch mal ein Mandat sein, dass zuvor eine der großen Wirtschaftskanzleien betreut hat.
Sie verstehen sich als „verlängerte Werkbank“ für Ihre Mandaten. Was verbirgt sich hinter diesem Ansatz?
Verlängerte Werkbank meint im obigen Sinne der Mandantenorientierung punktuelle oder langfristige Unterstützung in einer zumeist fortdauernden Mandatsbeziehung. In engem Kontakt miteinander übernehme ich Aufgaben, die man dort fachlich nicht selber abdecken kann oder für man keine Ressourcen hat. Es ist ein wenig wie eine (in Teilen) ausgelagerte Rechtsabteilung. Ich werde in zwei typischen Szenarien angeheuert: Zum einen von Unternehmen, oftmals Startups, die noch keine oder nur eine sehr kleine Rechtsabteilung haben und die Bedarf an Beratung und Vertretung im Bereich IT/IP/Data Law haben. Dann übernehme ich das in Abstimmung mit der Geschäftsführung bzw. der Fachabteilung. Zum anderen von Unternehmen, bei denen zwar eine Rechtsabteilung besteht, dort aber nicht die Manpower oder Expertise in den vorgenannten Rechtsgebieten vorhanden ist, um anstehende Projekte hinreichend zu betreuen.
Auch dort werde ich zumeist direkt in das Projektteam einbezogen. Geprägt ist das wie gesagt meist durch engen direkten Kontakt mit den Ansprechpartnern sowie zunehmend tiefergehende Kenntnissen über das Business, Setup, Stakeholder und Mindset beim Mandanten auf meiner Seite. Der Mandant muss mir nicht jedes Mal wieder die Besonderheiten seiner Produkte bzw. seiner Technologie und seines Geschäftsmodells erklären. Umgekehrt weiß man auf der anderen Seite wie ich arbeite und will diese Art des Arbeitens auch gerade.
Besondere Freude macht es mir, schon in den Anfängen von neuen Businessideen mit eingebunden zu werden und als juristischer „Sparringspartner“ zu fungieren, damit rechtzeitig die Weichen richtig gestellt werden. All das beschreibt eigentlich nichts anderes als gesunde, langfristige, für beide Seiten fruchtbare Mandatsbeziehungen – so wie andere erfolgreiche Kanzleien das auch machen. Kundennähe und Dienstleistungsmentalität sind kein Rocket Science, müssen aber jeden Tag neu bewiesen werden.
Wie viel Zeit verbringen Sie mit klassischer juristischer Arbeit an Gesetz und Schriftsatz? Welche Rolle spielen unternehmerisches und technisches Verständnis?
Meine tägliche Arbeit ist ganz überwiegend rein beratender Natur. Ich betreue sehr selten mal ein streitiges Verfahren. Ich bin sozusagen am Anfang der Reise dabei, wenn etwas entsteht, nicht, wenn etwas kaputt gegangen ist. Ich prüfe Geschäftsideen, Produkte und Strategien auf ihre rechtliche Machbarkeit hin, daher ob und wie die Idee im Einklang mit Recht und Gesetz umgesetzt werden kann. Dann entwerfe, prüfe und verhandle ich entsprechende Vertragswerke. Diese juristische Arbeit füllt quasi meine gesamte bezahlte Arbeitszeit aus. Daneben fällt Organisatorisches für die Kanzlei sowie Akquisetätigkeit an.
In meinem Bereich muss man die Entwicklungen auf Seiten des Gesetzgebers fortwährend genau verfolgen, da tut sich unheimlich viel. Ich begleite beispielsweise viele Kooperations- sowie Forschungs-& Entwicklungsverträge, bei denen es um gänzlich neue Technologien geht, meist im Bereich Green Energy und Ressourcenschonung. Allerdings sind Gesetze allgemein gültige Regelungen für eine Vielzahl von Fällen. Meine Mandanten entwickeln aber oftmals Dinge, die bei der Gesetzgebung noch gar keine Berücksichtigung finden (können). Da kann man meist nur im Wege der Vertragsgestaltung Wege und Mittel finden, um dem Mandanten zu helfen und Business zu ermöglichen. Das geht nur, wenn man den jeweiligen Sachverhalt, also das technologische Vorhaben des Mandanten, verstanden hat. Sonst langt man bei der Vertragsgestaltung, aber auch der Gesetzesauslegung schnell daneben. Und ohne unternehmerisches Verständnis wäre man als wirtschaftsberatender Anwalt ohnehin aufgeschmissen. Ich kann dem Mandanten unschwer eine im Elfenbeinturm entstandene rechtlich saubere Lösung aufzeigen, die wirtschaftlichen Harakiri bedeutete. Dann muss man rechtzeitig andere Ansätze verfolgen, bevor unnötige Ressourcen und Gelder (Rechtsanwaltskosten) verschwendet werden. Denn so etwas führte nie zu Folgemandaten.
Wenn Sie zurück auf Ihre Ausbildung und Ihre Promotion blicken: Was war damals Ihre beste Entscheidung? Was würden Sie im Nachhinein anders machen?
Die beste Entscheidung war die für den Bereich IT/IP, also Digitalisierung und neue Technologien. Dann die zwei Jahre im Ausland, Spanien und England. Ob es die Promotion wirklich gebraucht hätte, weiß ich nicht, da das so viel Zeit und Energie erforderte, die man vielleicht effektiver mit Arbeit in der Praxis und damit für realitätsnähere Ausbildung hätte nutzen können. Andererseits ist bzw. war damals die Welt der Wirtschaftskanzleien eine sehr konservative, in der eine Promotion als Ausweis von Qualität angesehen wurde.
Was ich im Rahmen der Ausbildung wichtig finde, ist einen Kompass, eine klare Vorstellung davon, wohin man will. Für die ein oder andere Entscheidung hinsichtlich Studienprogramme, Referendariat und Berufseinstieg hätte ich mir einen erfahrenen Ratgeber gewünscht. Da ich nicht aus einer Akademikerfamilie komme, habe ich vieles alleine entschieden und mit mir ausgemacht. Wie wichtig solche „Mentoren“ sein können, habe ich im Berufseinstieg gemerkt, als mich meine Chefs entsprechend förderten. Also mein Rat: die fitten Leute, die einem im Studium, in Praktika oder im Referendariat über den Weg laufen, seien es Professorinnen oder erfahrene Anwälte, einfach mal proaktiv ansprechen und ausfragen.
Die EU verändert aktuell mit den Gesetzen über digitale Dienste und digitale Märkte sowie mit dem Vorschlag für ein Gesetz über Künstliche Intelligenz die digitalen Spielregeln. Wie relevant sind diese neuen Anforderungen für Sie und Ihre Mandaten?
Das wird sich noch zeigen müssen, aber ich glaube, man kann die Bedeutung gar nicht hoch genug einschätzen. Viele meiner Mandanten schaffen oder hängen ab von Daten, weil sie im Bereich Künstliche Intelligenz tätig sind oder diese für sich und ihre Angebote nutzen. Da haben Vorgaben etwa zur Zugänglichmachung von Daten durchaus einen Impact. Auch wenn wir kein Eigentum an Daten haben – und mit den neuen Gesetzen auch nicht erhalten – gibt es eine Datenwirtschaft, sind Daten ein Asset. Die einen wollen auf einem möglichst freien Markt damit handeln können, also ein eher proprietäres Modell, die anderen sind auf Daten angewiesen, um ihre Algorithmen anzulernen und das gerne zu möglichst geringen Kosten und Hürden. Das, was ich hier bislang erlebe ist noch weit entfernt von AI wie ChatGTP etc. Inwieweit das auch für die Arbeit meiner Mandantschaft eine Rolle spielen wird, wird man sehen. Ich persönlich finde das total spannend, habe aber auch ein wenig Respekt vor dem, was da noch kommen mag. Ob man das mittels Gesetzen einhegen kann, weiß ich nicht. Und zurück in die Tube bekommt man die Zahnpasta auch nicht mehr. Es bleibt spannend.
Zum Abschluss für alle Leser, denen ihr Studium gerade wenig Spaß macht: Sie betonen, dass Ihr Arbeitsalltag kreativ, fun, smart und mittendrin ist. Worin steckt für Sie der meiste Fun und was begeistert Sie noch heute an der Juristerei?
Meine Mandantschaft ist fast durchweg im Bereich Technologien, jedenfalls aber bei der Digitalisierung vorne dabei. Da geht es um Umwelttechnologie, z.B. wie man aus Müll Biokraftstoffe macht, um Energieeinsparung in der Chemiebranche, um CO2-Zertifikatserstellung und -handel, satellitengestützte Erdbeobachtung zwecks Wasserwirtschaft, grüner Wasserstoff, Umstellungen von Businessmodellen auf eine rein digitale, teils KI-gestützte User-Experience, Datenwirtschaft und Datenschutz, usw. usf. Das betrifft genau die Themen, die aktuell die Menschheit beschäftigen, vor allem die jüngeren Generationen, Technologien, die wichtig sind für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaftsform, unserer Art zu leben. Wie oben beschrieben muss man da als Jurist versuchen, die Regelungsinhalte zu erfassen und bestmöglich abzubilden. Da kann man nicht einfach z.B. in ein Vertragsmuster-Regal greifen, sondern muss – zumal in Ermangelung hinreichender rechtlicher Rahmen – eben kreativ sein. Wenn dann ein Projekt, an dem man beteiligt war, erfolgreich ist, man also mitgeholfen hat, das Baby auf die Welt und dann auch noch zum Laufen zu bringen, dann macht das einfach viel Spaß.
Ebenso die Knobelei und der juristische Diskurs mit Kollegen darüber, was der Gesetzgeber oder die Aufsichtsbehörden, denn nun mit der einen oder anderen Regel genau gemeint haben könnte und was das konkret für meinen Fall bedeutet. Das hört sich jetzt sehr an nach dem kalifornischen Tech-Credo „We work to make the world a better place“, aber ich finde es auch schön und sinnstiftend, dass viele Projekte, an denen ich mitarbeiten darf, im Bereich Klima- und Umweltschutz angesiedelt sind.
Wir danken Ihnen herzlich für dieses inspirierende Gespräch!
Hier der Link zum Interview: https://www.ml-tech.org/blog/get-to-know-dr-daniel-michel-rechtsanwalt-gruender-data-law-counsel/